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«Wir sind nicht allein»

Beatrice Bänninger, Geschäftsführerin von Solidara Zürich, hält Rückschau auf das Jahr 2024. Ein Interview über schwierige Ausgangslagen, niederschwellige Arbeit und gelungene Aktionen.

Die Zahl der Kontakte bei Solidara Zürich ist 2024 erneut gestiegen. Können Sie erläutern, weshalb dies eine herausfordernde Ausgangslage ist?

Die erneute Zunahme zeigt, dass das Angebot an niederschwelligen Beratungsstellen in der Stadt Zürich offensichtlich einem wachsenden Bedürfnis entspricht. Jetzt fragen sich vielleicht einige, warum dies in einer reichen Stadt wie Zürich überhaupt der Fall ist. Wir machen die Erfahrung, dass immer mehr Menschen durch das soziale Netz fallen oder aus formellen Gründen gar nicht davon profitieren können. In unseren Walk-in-Beratungsstellen helfen wir aber allen Menschen, die Unterstützung brauchen. Das spricht sich herum, und so steigt der Zulauf bei niederschwelligen Angeboten generell. Für die Teams von Café Yucca und Isla Victoria ist diese Ausgangslage jedoch sehr anspruchsvoll, da unsere Ressourcen begrenzt sind.

Welche Themen waren 2024 besonders akut?

Bei Isla Victoria war es erneut das Thema Gesundheit, gefolgt von Migration, Finanzen und Versicherungen. Auch im Café Yucca treiben Probleme rund um die Finanzen viele Menschen um, aber auch Fragen rund um Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer*innen. Hier stellen wir bei beiden Angeboten fest, dass sich die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnbranchen wie dem Baugewerbe, der Reinigung und teilweise auch der Landwirtschaft zunehmend verschlechtern, etwa durch befristete Arbeitsverträge oder Arbeit auf Abruf. Ebenso beschäftigt das Thema Wohnen: die hohen Mieten, die allgemeine Wohnungsnot, die daraus resultierenden prekären Wohnverhältnisse und natürlich die Obdachlosigkeit. Als kleines Sozialwerk können wir bei einer so geringen Leerwohnungsziffer auch nicht zaubern. Da sich die Wohnungsnot auch auf die psychische Gesundheit unserer Klient*innen auswirkt, sind wir froh, dass «Housing First» zumindest politisch grosse Aufmerksamkeit erhält.

Wir machen die Erfahrung, dass immer mehr Menschen durch das soziale Netz fallen oder aus formellen Gründen gar nicht davon profitieren können.

Welche Problematik ist auffällig?

Generell sind wir bei beiden Angeboten mit einem zunehmenden Alkohol- und Drogenkonsum konfrontiert. Diese Suchtproblematiken verschlechtern die physische und psychische Gesundheit unserer Klient*innen. Gleichzeitig verändert sich ihr Verhalten. Sie sind manchmal aggressiver und benötigen eine engere Begleitung. Unsere Mitarbeiter*innen sind in diesem Zusammenhang besonders exponiert und gefordert. Deshalb ist es wichtig, ihnen entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten. So können sie ihr Fachwissen erweitern und sich bestenfalls auch besser schützen.

Wo hat Solidara Zürich Gegenwind gespürt?

In der niederschwelligen Arbeit erfahren wir Gegenwind durch die Digitalisierung, die fehlenden analogen Ansprechpartner*innen. Viele Klient*innen und Gäste kommen mit dieser Transformation und der Formularflut nicht zurecht. Deshalb benötigen sie in diesem Bereich mehr Unterstützung, was wiederum mehr Zeit und Personalressourcen erfordert. Wenn wir von Ressourcen sprechen, stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Finanzierbarkeit. In diesem Zusammenhang hat uns die Diskussion rund um die Frage, ob unsere Arbeit christlich genug sei, damit die reformierte Kirche sich weiterhin finanziell beteiligt, sehr betrübt. Die Kirchen haben uns immer tragend unterstützt und sind für uns seit Jahrzehnten wichtige und enge Partner. In diesem Sinne hoffen wir sehr, dass die reformierte Kirche der Stadt Zürich diese grundlegenden Beiträge fortsetzen wird. So wie es die Delegiertenversammlung von «Katholisch Stadt Zürich» bereits im Sommer 2024 beschlossen hat.

Trotzdem: Die Solidarität mit Solidara Zürich war gross; das Sozialwerk hat noch nie so viele Spenden erhalten.

Ja, wir haben unglaublich viel Solidarität erfahren: durch Spenden von Stiftungen, Kirchenkollekten, Firmen und Privatpersonen. Das gibt Kraft, und man spürt, dass unsere Arbeit und unser Wirken geschätzt werden. Solidara Zürich geniesst Vertrauen, das freut mich und uns alle. Die Gesellschaft ist bereit, niederschwellige Angebote wie unsere zu unterstützen. Die Stiftungen sind sich ihres gesellschaftlichen Auftrags bewusst. Das motiviert mich persönlich sehr, weil ich weiss: Wir sind nicht allein. Gleichzeitig achte ich darauf, dass unsere Mittel in erster Linie den sozial benachteiligten Menschen zugutekommen und die administrative Arbeit auf kleiner Flamme kocht. Damit das möglich ist, sind wir auch auf wiederkehrende Spenden angewiesen.

Wenn wir von Ressourcen sprechen, stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Finanzierbarkeit.

Über welche Aktion haben Sie sich besonders gefreut?

Über alle, ob gross oder klein. Besonders aber über unseren Einsatz und das Erreichte rund um die nicht angekommenen Geldüberweisungen von Small World Money Transfer, weil hier einfach alles wunderbar ineinandergriff. Zunächst erfuhren wir sehr früh von unseren Klient*innen, dass Gelder, die sie ihren Angehörigen überwiesen hatten, um beispielsweise die dringend benötigte medizinische Versorgung im Heimatland zu bezahlen, nicht angekommen waren. Weil die Not gross war, machten wir uns schnell ein Bild von der Situation und fanden heraus, dass Small World Money Transfer den Dienst eingestellt hatte und es schwierig sein würde, die überwiesene Summe zurückzubekommen. Als die Medien davon Wind bekamen und sich an uns wandten, konnten wir mit Breitenwirkung auf die Notlage unserer Klient*innen aufmerksam machen. Diese Medienpräsenz wiederum führte dazu, dass sich eine Stiftung, die anonym bleiben möchte, bei Solidara Zürich meldete und den Wunsch äusserte, unbürokratisch zu helfen. So konnte Solidara Zürich schliesslich 83Menschen, die in der Regel hart arbeiten und wenig verdienen, die nicht angekommenen Gelder vollumfänglich zurückerstatten. Die Freude darüber war bei allen sehr gross – bei den Betroffenen, bei der Stiftung und natürlich auch bei uns.

Foto: Florian Bachmann