Jacqueline Badran ist Politikerin und Unternehmerin. Sie ist seit 2011 Mitglied des Nationalrats, als Vertreterin des Kantons Zürich. Badran hat an der Universität Zürich Biologie studiert und an der Hochschule St. Gallen Ökonomie und Staatswissenschaften. Beide Studiengänge hat sie selbst finanziert. Sie kennt deshalb nach eigenen Angaben auch das Leben unter der Armutsgrenze.
«Ohne Boden kann man nicht leben»
Kaum eine Woche ohne Schlagzeilen zum Thema zahlbaren Wohnraum. Dann tut man noch so, wie wenn es sich um ein neues Phänomen handelt. Dabei begleitet die Frage, wem der Boden gehört und wem die Erträge daraus zustehen die Menschheitsgeschichte. Die Politikerin Jacqueline Badran ordnet ein.
Der Adel und die Kirche besassen früher den Boden und diejenigen, die den Boden bestellten, mussten zwei Mal im Jahr den «Zehnten» (einen Zehntel ihrer Ernte) abgeben. In der Schweiz lehnten sich die bessergestellten Bauern schon im 12. Jahrhundert dagegen auf. Sie gründeten «Genossamen» (heute Kooperationen oder Genossenschaften genannt), um der Zehnten-Pflicht zu entgehen. Eigentlich eine logische Sache. Denn ohne Boden, von dem wir essen, auf dem wir wohnen und geschäften, kann man nicht leben. So wenig wie ohne Luft und Wasser. Boden und der Ertrag daraus ist das Kapital schlichthin.
Die bürgerliche Revolution richtete sich denn auch gegen den Boden besitzenden Adel und die Abgabepflicht darauf. Nur den Boden übernahmen in der Folge die reichen Industriellen. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Ausbeutung der Arbeiterschaft über die Wohnungsmieten so gross, dass sich sogar die Pfarrer in der Kirche gegen die «Wuchermieten» wehrten.
Hausbesitzer vermieten Matratzen
Die Not war so schlimm, dass die Immobilienbesitzer Matratzen vermieten konnten und mehrere Arbeiter sich ein Zimmer teilen mussten. Als die Matratzen immer kleiner wurden, um auf diese Weise mehr Menschen in ein Zimmer pferchen zu können, regulierte die Stadt Zürich daraufhin die Matratzen-Grösse. So absurd war das. Von den Sozialdemokraten wurden in dieser Zeit die ersten Wohngenossenschaften und der Mieterverband gegründet. Ein Akt der Notwehr. Der Boden und die Häuser darauf sollten wieder denjenigen gehören, die sie nutzen und von ihnen abhängig sind.
Holen wir uns zurück, was uns gehört
Jacqueline Badran
Aber die Situation blieb immer prekär. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden Wohngemeinschaften gegründet. Auch um sich die Kosten zu teilen. In den 1990er-Jahren gingen wir auf die Strasse und skandierten «Wo-Wo-Wohnige».
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks witterte das Kapital Mitte der 1990er-Jahre seine Chance. Die Immobilie wurde als Ertragsanlage neu entdeckt. Der erste Gang einer Immobilienfirma an die Börse in der Schweiz war im Jahr 2000. Seither macht das Immobilienkapital aus unseren Häusern ein Anlageuniversum. Und in rasendem Tempo übernehmen sie unsere Zuhause. In der Folge steigen die Mieten Jahr für Jahr, statt dass sie wegen den tiefen Zinsen sinken. So kommt es, dass die Mietenden im Jahr 2021 10,5 Milliarden Franken zu viel gegenüber den gesetzlichen Vorgaben bezahlten. Das sind 370 Franken pro Haushalt und Monat.
Wenig-Verdienende werden vertrieben
Und natürlich trifft es alle Schichten. Aber ganz besonders hart, wie immer, trifft es die vulnerablen Personen: Die Wenig-Verdienenden und die mit einer kleinen Rente. Sie sind die ersten, die aus den Quartieren vertrieben werden, als Opfer der Gentrifizierung und Entmischung der Bevölkerung.
All das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Es ist Notwehr angesagt. Holen wir uns zurück. was uns gehört: Die Gemeinden müssen in massiven Stil Land kaufen und das Land an Wohngenossenschaften im Baurecht abgeben. Damit der Boden und die Häuser wieder den Menschen gehören, die sie nutzen. Das ist alternativlos. Wir müssen es nur noch machen. Es ist Zeit, dass wir auf die Strasse gehen.