«Ich muss in Bewegung bleiben»
Unterwegs mit einem Yucca-Gast, der in Zürich Arbeit sucht und draussen schläft.
Robert sitzt im Café Yucca, vor sich eine Schale Suppe und ein Glas Tee. Neben dem Tisch hat er einen kleinen Rollkoffer verstaut. Vor zwei Wochen ist er nach Zürich gekommen, um Arbeit zu suchen. Er ging von Tür zu Tür – Kleiderläden, Supermärkte, Restaurants – stellte sich vor und gab seinen Lebenslauf ab. «Falls wir einen Job haben, rufen wir Sie an», war die Antwort. Bis heute hat er keinen Anruf erhalten. Um Arbeit zu erhalten, braucht er eine Wohnung oder zumindest eine Postadresse. Eine Chance auf eine Wohnung hat er aber nur, wenn er einen Arbeitsvertrag vorweisen kann.
Bei seiner Ankunft hatte Robert 1500 Euro in der Tasche. Innerhalb von wenigen Tagen war sein Geld aufgebraucht, für die Übernachtungen im Hotel und die Verpflegung. Seither schläft Robert im Freien. Nachdem sein Geld aufgebraucht war, hatte er zwei Tage lang nichts zu essen. Dann traf er in der Stadt einen Mann, der ihm vom Café Yucca erzählte. Robert kommt jetzt jeden Tag ins Café Yucca und erhält dort gratis Suppe, Brot und Tee.
Nur nicht auffallen
Robert erklärt sich bereit, seine Route durch Zürich zu zeigen. Er nimmt seinen kleinen Rollkoffer und marschiert los. Auf dem Zähringerplatz nimmt er auf einer Bank Platz, aber nur für kurze Zeit. «Ich muss immer in Bewegung bleiben, sonst gibt es Probleme», sagt er, «ich bleibe eine halbe Stunde oder eine Stunde am gleichen Ort, dann ziehe ich weiter». Ob er denn keinen Schlafsack habe? «Den Schlafsack habe ich am Stadtrand versteckt. Ein Schlafsack braucht viel Platz im Gepäck und er fällt auf.»
In die Notschlafstelle «Iglu» in Zürich-Seebach, ein Angebot des Sozialwerks Pfarrer Sieber, wo Arbeitsmigranten aus Europa im Winter übernachten können, will Robert nicht gehen. «Ich kenne die Leute nicht, die im gleichen Zimmer schlafen. Was, wenn sie aggressiv werden und mich angreifen, während ich schlafe?» So übernachtet Robert lieber im Freien. In Parkanlagen, neben einem Fluss – wo genau, will er nicht sagen. Er sucht sich jede Nacht einen anderen Schlafplatz. «Der Platz muss gut versteckt sein. Die Polizei darf mich nicht finden, sonst erhalte ich eine Busse.»
Roberts Rundgang führt an die Limmat. Er geht die kleine Treppe zur Anlegestelle des Limmatschiffs hinunter und setzt sich dort auf die Bank. «Das ist ein guter Ort, von oben sehen mich die Leute nicht», erklärt er. Er zieht seinen Rollkoffer über die Gemüsebrücke zur Storchengasse. Vor einem der zahlreichen Kleider- und Schmuckgeschäfte der Luxusklasse bleibt er stehen und schaut ins Schaufenster. «3000 Franken für diesen Veston! Er sieht nicht einmal gut aus.»
Bentley Bentayga und Co.
Roberts Rollkoffer rattert über die Pflastersteine. In der engen Storchengasse parkiert ein Bentley und steht im Weg. «Das ist ein Bentley Bentayga», kommentiert Robert, «er kostet 200'000 Franken.» Auf dem Auto ist zwar das Bentley-Logo erkennbar, doch «Bentayga» steht nirgends drauf. Wir gehen weiter in Richtung See, am Zürcher Stadthaus vorbei. Robert erkennt unterwegs weitere teure Autos, er nennt Marke, Modell und den Preis – «Lamborghini Urus, Tesla Model X, Porsche Taycan, Maserati Levante Trofeo». Ob er denn so ein Auto haben wolle? Robert schmunzelt: «Man kann ja träumen. Doch für dieses Geld würde ich lieber ein Haus kaufen und stattdessen ein günstiges Auto fahren».
Am See angelangt, geht Robert ans Ufer und taucht seine Hände ins Wasser. «Am frühen Morgen mache ich hier meine Morgentoilette. Ich stehe jeden Morgen um sechs Uhr auf. Es darf niemand sehen, dass ich draussen schlafe. Dann streife ich mehrere Stunden durch die Stadt und gehe anschliessend ins Café Yucca. Die Leute im Café Yucca sind sehr nett und hilfsbereit. Sie machen eine schwierige Arbeit. Trotzdem begegnen sie den Gästen mit Respekt und einem Lächeln.»
Mein Sohn gibt mir die Kraft, Arbeit zu suchen
Robert, Gast im Café Yucca
Beim Bürkliplatz setzt sich Robert auf eine Bank. Auf dem Wasser spiegeln sich die schnell vorüberziehenden Wolken, dazwischen blitzt ein Sonnenstrahl hervor. Robert erzählt aus seinem Leben. Er ist Mitte Dreissig und kommt aus einem westeuropäischen Land. Er hat einen vierjährigen Sohn. «Ob als Maler, als Gartenarbeiter, als Handwerker: Ich habe immer gearbeitet» sagt er und zeigt die Innenseite seiner Hände. Seine Hände bezeugen es, sie sind voller Schwielen und Risse. «Ich will arbeiten, ich will unabhängig bleiben. Meinen Sohn habe ich neun Monate nicht mehr gesehen. Ich vermisse ihn. Mein Sohn gibt mir die Kraft, Arbeit zu suchen.»
«Wer so viel Geld hat, soll es mit anderen teilen»
Über den Reichtum, der sich in Zürich an den vielen teuren Autos zeigt, kann sich Robert nur wundern. «Wer so viel Geld hat, soll es doch mit anderen teilen. Mit dem Kaufpreis eines solchen Autos könnte man 300 Familien über mehrere Monate ernähren. Diese Leute sind doch nur so reich, weil sie ihr Vermögen nicht an soziale Organisationen wie das Café Yucca weitergebeben.»